REPRÄSENTATIVE CHARAKTERE — HOMELAND
Nehmen wir an, wir wollen eine weitgespannte Serie erzählen, in der es (im weitesten Sinne) um den Kampf großer Systeme geht. Wie vereinfachen wir diese Systeme effektiv, so dass der Zuschauer emotional andocken kann und nicht ständig damit kämpft den Überblick zu verlieren?
HOMELAND ist mit dieser Herausforderung in exemplarischer Weise vorbildlich umgegangen. Als ich die einzelnen Staffeln im in einem Rutsch durchgeschaut habe, ist es mir zunächst gar nicht aufgefallen. Aber als ich später noch mal zwischendurch reingeschaltet habe, war ich plötzlich total verwundert: Diese drei „Leutchen“ sind also die USA, Israel und unterdrückte Arabische Welt? Es kam mir fast lächerlich vor. Was also war passiert?
Sie haben ganz einfach einzelnen Systemen/Institutionen symbolische und repräsentative Figuren zugeordnet. Sie einmal gründlich an ihrem mehr oder weniger imposanten Arbeitsplatz etabliert und und waren wir als Zuschauer bereit sie als Vertreter verschiedenster Systeme zu akzeptieren. Außerdem entstand dabei der wünschenswerte Nebeneffekt, dass der Kampf der Systeme auf den Kampf einzelner Menschen „heruntergebrochen“ wurde – und dadurch leichter, und vor allen Dingen emotionaler, erlebbar geworden ist. Der „Systemkampf“ verblieb nicht nur im „intellektuellen Raum“, sondern wurde durch die repräsentativen Charaktere „vermenschlicht“ ausgefochten und in teilweise so überhaupt erst verständlich. (Fast ein bisschen wir bei einer Talkshow... hitzig aber trotzdem relativ leicht zu verdauen)
Natürlich war es auch hilfreich, dass die Protagonisten konstant mit hoher Spannung gegen eine unablässig tickenden ticking clock gekämpft So lässt einem die Serie als Zuschauer ebenfalls kaum Zeit, Ereignisse und Situationen längerfristig in Frage zu stellen...
TEUFELSKREISE — BATES MOTEL
Wir alle kennen das, auch in der Realität gibt es Beziehungen mit eher ungesunden Dynamiken. Und manchmal sind sie von solch extremer Natur, dass sie bis in alle Ewigkeit so weiter laufen könnten… Was uns jedoch in der Realität schreckt, ist großartig für Serienmacher. Warum?
Das Horror-Drama BATES MOTEL ist ein Prequel zu Hitchcocks “Psycho”, versetzt in die heutige Zeit. In der Serie geht es unter anderem darum wie ein Psychopath entsteht — the making of Norman Bates, quasi.
Neben grossartigem Plot und starken Charakteren ist der Hauptgrund, warum ich bei BATES MOTEL über alle Staffeln drangeblieben bin, die drunterliegende Dynamik eines fatalen Teufelskreises. Man kommt nicht davon los, obwohl, oder gerade weil man die Sehnsucht hat, dass Norman sich entwickelt und endlich aus den Gefangenheiten seines Lebens befreit.
Die symbiotische Beziehung der Hauptfigur Norman zu seiner Mutter ist zweifellos extrem. Trotzdem leidet er an dem selben Dilemma, welchem fast jeder junge Mensch irgendwann in seiner Entwicklung gegenübersteht: man will sich sich vom eigenen Elternhaus loslösen und gleichzeitig aber die umsorgenden Eltern nicht verlieren. (dabei immer wieder erstaunlich: durch dieses breit empfundene Dilemma, kann man sich als Zuschauer*in sogar mit einer psychisch gestörten, mordenden Figur wie Norman Bates identifizieren!)
Doch anders als in gesunden Beziehungen gibt es im Fall von BATES MOTEL kein Entkommen aus diesem Dilemma. Stattdessen entwickelt es sich im Laufe der Geschichte alles zu einem tückischen Teufelskreis in dem Norman gefangen bleibt — weil er nicht bereit ist, das eine für das andere zu opfern. Er möchte die Unabhängigkeit und den Schutz, gleichzeitig (lehnt sich damit quasi gegen Naturgesetzte auf). Wie manchmal im Leben kann die Unvereinbarkeit von zwei Zielen — wenn diese Unvereinbarkeit nicht akzeptiert, sondern verleugnet wird— absurde Blüten tragen oder im eben lebenslangen Leiden enden.
Es ist diese nicht zu lösende Dynamik und der dadurch entstehende starke Drive des Hauptcharakters, welche diese Show so lange am Laufen hält. Es lohnt sich über Teufelskreise nachzudenken, denn sie eignen sich sehr gut für Serien, weil sie eben endlos sein können…
Fazit: Das grundlegende Dilemma des Charakter schafft die Identifikation, deshalb wollen wir dieses Dilemma so lange wie möglich erhalten. Welche Dilemmata also sind die langwierigsten? Teufelskreise, weil deren Dynamik statt sich aufzulösen immer wieder auf Anfang springt.
Was im Leben wirklich schrecklich ist, hilft enorm eine langlaufende Serie zu kreieren…
ABLENKUNG DURCH „ABSTRAKTION“ — GOOD GIRLS
Die drei Hauptfiguren sind Mütter. Und genau das macht die Spannung dieser Dramedy-Prämisse aus:
Drei Vorstadt-Mutter rauben zusammen wegen finanzieller Engpässe einen Supermarkt aus und geraten damit immer weiter in kriminelle Verwicklungen...
Aber komischerweise sieht man die drei Frauen verhältnismäßig selten bei Erziehungsaufgaben! Warum eigentlich nicht? Wo die Tatsache, dass sie Mütter sind doch ein Schlüsselfaktor der Prämisse ist — somit eigentlich essentiell, um den Kontext für die Comedy und das Drama zu liefern. Warum also spielt dieser zentrale Part (Interaktion mit den Kindern) so eine geringe Rolle und wir so vernachlässigt, im Vergleich zu einer Sitcom etwa?
Antwort: Nicht etwa weil daraus keine Jokes zu ziehen wären oder Kinderdrehs anstrengend sind, sondern weil zu viele dieser Szenen (die Hinlenkung der Aufmerksamkeit des Zuschauers darauf) eventuell dafür sorgen könnten, dass der Zuschauer die Charaktere etwas mehr ablehnen würde. Sondern deshalb, weil er dann die moralischen Fragen, die sich aus der Grundprämisse ableiten lassen, doch etwas kritischer begutachten würde und folglich vielleicht nicht mehr über die Jokes lachen könnte. Auf diese Weise stünde nämlich das „Wohl der Kinder“ als Wert über allem. Wie wird das Problem also gelöst?
Auf eine überraschend simple Art und Weise, die erstaunlich gut funktioniert. Wenn die drei Hauptfiguren der Comedy wegen nicht gerade sowieso Hausfrauentools für sehr kriminelle Tätigkeiten nutzen (u.a. eine Waschmaschine um Falschgeld zu patinieren) wird in beinahe jeder Dialog-Szene, wenn möglich, darauf geachtet sichtbar Spielzeug ins Bild zu bringen (sehr unaufwändig). Man sieht wortwörtlich immer das sie Mütter sind (damit einerseits die Gags funktionieren und andererseits das Risiko der Entdeckung weiterhin spannend bleibt) — zwar auf einer praktischen Ebene, die wiederum aber in der letztendlichen Konsequenz auch etwas „abstrahiert“ bleibt. So dass es trotz der Sichtbarkeit subtil genug ist, um sich ständig im Unterbewusstsein des Zuschauers zu verankern. Und auf diese Weise Spass und Spannung gleichzeitig ermöglicht.
Merke: Hier wird nicht einfach vorausgesetzt, dass wir als Zuschauer ja grundsätzlich wissen, dass sie Mütter sind, sondern diese Information wird sehr engmaschig auf der Ebene der Ausstattung immer wieder neu gesetzt! Dies ist natürlich auch besonders wichtig, weil die Serie nicht nur auf Streaming-Kanälen verfügbar ist, sondern auch wöchentlich auf NBC ausgestrahlt wurde, so dass immer wieder eine längere Pause zwischen den Folgen entstanden ist.
GEGEN ALLE LOGIK — UPLOAD
Warum glauben wir in einer laufenden Geschichte manchmal Dinge, die uns eigentlich lächerlich vorkommen müssten? Warum stört es uns im konkreten Beispiel von UPLOAD nicht, dass ein extrem simples Prop (ein Opinel-Taschenmesser) zu einem scheinbar hochtechnisierten Spezialwerkzeug wird? Wie ist das also mit der willing suspension of disbelieve?
Tatsächlich ist es doch so: als Zuschauer machen wir ständig unbewusst Profit-Abwägungen. Wir möchten eine spannende und komplexe Geschichte erzählt bekommen und haben oft ein gutes Gespür dafür, welche Wendungen die Geschichte interessanter, tragischer, lustiger, spannender oder überraschender macht. Sind wir in die Geschichte investiert, ist es uns fast egal, wie diese Wendungen zustandekommen. Aber eben nur fast. Deshalb muss hier vorgesorgt werden...
Um das konkrete Beispiel zu verstehen, hier eine kurze Zusammenfassung dieser High-Concept-Story von UPLOAD:
Ein junger Mann stirbt bei einem Autounfall. Um seinen Geist zu retten, wird dieser in eine virtuelle Realität „hochgeladen“. Seines physischen Körpers beraubt, ist der junge Mann nun fortan gezwungen, für immer in dieser virtuellen Realität zu leben. So weit so gut. Beim Einleben in das Virtuell Reality Resort begleitet ihn allerdings eine technische Assistentin aus der realen Welt. Sie verliebt sich in ihn – und er verliebt sich in sie. Das Ergebnis: eine Liebesgeschichte mit gut funktionierendem Hindernis, denn ist praktisch unmöglich, dass die beiden jemals wirklich zusammenkommen können.
Die Tonalität Serie hat u.a. Comedy und Drama-Anteile und ist garniert mit vereinzelter, fast comic-hafter Überhöhung. Doch erst bei der genauen und isolierten Betrachtung des Sci-Fi-Anteils von UPLOAD, wurde es für mich erst richtig interessant...
Nun kommen wir auch schon zurück zum „Taschenmesser-Beispiel“: Dieses Taschenmesser wird vom Hauptcharakter benutzt um auf den Code seiner Virtuell Reality-Welt zuzugreifen, in der er fortan lebt. Er kann damit die Beschaffenheit und die Gesetzte seiner Welt so umprogrammieren wie er es möchte. Nur braucht er dafür eben kein komplexes Gerät, sondern nur ein altmodisches und einfaches Werkzeug. Er muss das Taschenmesser nur aufklappen, schon taucht eine transparente Tastatur vor ihm auf und der vormalige (im echten Leben) Profi-Programmierer tippt nun den nötigen Code hinein...
Naturgegeben ist die Grundbereitschaft von Sci-Fi und Fantasy Fans, eine phantastische Welt zu glauben, bereits ziemlich groß. Dennoch verlassen sich die Macher von UPLOAD nicht einfach auf diese Tatsache. Damit die Einführung eines neuen „magischen“ Tools auch funktioniert, wird hier dramaturgisch mit mehreren Faktoren gearbeitet, um die Akzeptanz beim Zuschauer zu erhöhen. An diesen Faktoren lässt sich enorm viel ablesen. Sie beinhalten in a nutshell die Grundprinzipien, wie man im Kern wenig glaubwürdige Dinge trotzdem erzählen kann und der Zuschauer dabei mitgeht:
1. Etabliere die Welt der Geschichte sehr gründlich:
Wenn zu Beginn der filmischen Erzählung die Welt der Geschichte (hier Science-Fiction) gründlich und glaubhaft etabliert wird, ist der Zuschauer später bereit auch sehr viel „einfachere“ Lösungen zu akzeptieren. Dieses Prinzip trifft besonders auf Si-Fi oder Fantasy Welten zu, bei denen ein beträchtlicher Teil des Budgets in Ausstattung fließt. Hier geht es, mehr als in anderen Genres darum, gleich zu Beginn das meiste Budget in die visuell starke Ausgestaltung der Welt zu stecken. Hat das funktioniert, kann man später – wenn der Zuschauer bereits in die Geschichte investiert ist – ggf. auch mit viel simpleren und kostengünstigeren Lösungen durchkommen. Wie z.B. das Opinel-Messer in UPLOAD...
2. Beantworte möglichst keine Fragen, die du dem Zuschauer nicht vorher gestellt hast:
Was heißt das genau? Nun, wollen wir ein Element einer Erzählung (sei es nun ein Messer mit magischen Kräften, eine neue Figur, oder Hintergrundinformation über einen Charakter) prominent einfügen, so dass der Zuschauer sie auch wirklich wahrnimmt, hilft es immer zunächst ein kleines Geheimnis darum zu machen. Dieses „Geheimnis“ kann ganz einfach gestaltet sein. Wie z.B. im vorliegenden Fall, als der Charakter das Messer in einer Szene ohne weitere Erklärung gereicht bekommt. Wir als Zuschauer fragen uns: „Was ist das für ein Gegenstand?“ und sind gespannt. Wenn uns diese Frage dann etwas später beantwortet wird, hat sie schon unsere vollste Aufmerksamkeit.
3. Lass den Zuschauer gleich spüren, welchen Benefit das neue Erzählelement in der Geschichte hat:
Wie bereits weiter oben erwähnt, ist der Zuschauer im allgemeinen viel leichter bereit auch relativ unglaubwürdige Wendungen zu glauben, wenn sie die Geschichte sofort besser machen. In diesem konkreten Fall bekommt der Hauptcharakter mit seinem Opinelmesser endlich Zugriff auf den Code der Virtual Reality in welcher er gezwungener Weise lebt. Er hat plötzlich sehr viel mehr Spielraum gewonnen und kann jetzt aktiver handeln. Das mögen wir als Zuschauer, weil wir den Charakter mögen und uns wünschen, dass er sich aus seiner „Gefangenschaft“ befreien kann. Die ganzen unlogischen Anteile dieser wirklich sehr simplen Lösung übersehen wir dann gerne, weil wir glauben wollen, dass es stimmt.
Zusammengefasst in einem Satz:
Spass schlägt Logik. Wenn man‘s richtig macht.